Für kurze Zeit hat sich ein Fenster zu einer anderen, scheinbar längst vergessenen Welt geöffnet. Durch dieses Fenster, einen engen Durchschlupf in einer rostigen Panzertür, gelangen wir in das Treppenhaus eines der beiden Eingangsbauwerke. Handy und GPS Gerät geben einen letzten verzweifelten Piepser von sich. Schätzungsweise dreieinhalb Meter Beton und 30 Zentimeter Stahl trennen uns nun von der Außenwelt. Die offene Tür eines Fahrstuhls, festgekettet und seit Jahrzehnten außer Betrieb, lädt uns ein zu einer ungebremsten Abwärtsfahrt ohne Aussicht auf eine glückliche Ankunft. Wir nehmen die Treppe. Rost hat das Geländer angefressen, Wasser tritt aus den aufgeborstenen Wänden aus und fließt über die glitschigen Stufen in die Tiefe. Wir steigen in die Dunkelheit hinab, schätzungsweise 30, 40 Meter, vielleicht auch mehr, noch Nichts ahnend von den monströsen Ausmaßen dieser unterirdischen Festung.
Unten angekommen begrüßt uns der vertraute Geruch von altem Diesel
und eine absolute Dunkelheit, wie man sie von unserem lichtverschmutzten mitteleuropäischen Nachthimmel gar nicht mehr gewohnt ist. Abgesehen vom Rauschen des Wassers, dass aus den zugesetzten Entwässerungsschächten tritt und sich seinen Weg durch die Gänge bahnend über die Jahre eine zentimertdicke Kalksinterschicht auf den Böden hat wachsen lassen, herrscht eine fast perfekte Stille. Hier befinden wir uns nun 45 Meter unter der Sohle des Eingangsbauwerks, wie uns die erstaunlich gut erhaltene Beschriftung 45m depuis EH zu verstehen gibt. Bei weitem nicht der tiefste Punkt der Anlage.
Wir schreiten voran in die Finsternis, die für einen kurzen Augenblick vor der geballten Power unserer Hochleistungs-LED und Halogen Lampen zurückweicht. Vorbei an zahlreichen kleinen Abzweigungen, die zum Kraftwerk, zur Küche oder zu
den Mannschaftsunterkünften führen, geht es weiter bis zum Bahnhof
und den großen Munitionslagern
. Hier gibt noch vieles zu sehen, das glücklicherweise vor sinnloser Zerstörungswut, Trophänensammlern oder Schrottdieben verschont geblieben ist. Zu viel für eine einzige Nacht.
Wir erreichen den Haupthohlgang, der diesen Teil des Werkes mit den abgesetzten Kampf- und Artillerieblöcken verbindet. Ein Pfeil zeigt die Richtung: 2000 Meter bis zur nächsten Tür steht sinngemäß drüber. Wir trennen uns. Während die Anderen dem endlos erscheinenden Gang folgend immer tiefer in dieses unterirdische Reich vordringen, bleibe ich alleine zurück, um im Maschinenraum ein wenig Lichts ins Dunkel
zu bringen.
[2009] [Finsternis] [Frankreich] [HDR Fotos] [Lost Places] [Maginot-Linie] [Kurzgeschichten] [Unterweltfotos] [Urban Exploration]
Hauptseite | Facebook | Instagram | Impressum